
In dieser Woche beschäftigten sich viele Journalisten in Medienberichten erneut mit der Frage, ob Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund der dortigen Sicherheitslage verantwortbar seien oder nicht. Anlass dieser Berichte war ein Rückführungsflug abgelehnter afghanischer Asylbewerber nach Kabul.
Im Oktober 2016 hatten Deutschland und Afghanistan die Gemeinsame Erklärung zwischen Deutschland und Afghanistan über die Zusammenarbeit im Bereich der Migration unterzeichnet. Seitdem haben nun zwei Sammelabschiebungen dieser Art stattgefunden. Mit der gemeinsamen Erklärung wurde eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Länder in den Bereichen freiwillige Rückkehr und Rückführung vereinbart. So erhalten freiwillige Rückkehrer beispielsweise eine finanzielle Starthilfe für die Reintegration in ihr Heimatland. Zweifel und Kritik an diesen Abschiebungen werden insbesondere damit begründet, dass es in den vergangenen Monaten und Jahren eine Vielzahl von Anschlägen mit vielen Todesopfern gab. Daher sei in Afghanistan ein sicheres Leben nicht möglich
Die Frage nach der Sicherheitslage in Afghanistan beschäftigte auch mich in den vergangenen Wochen. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer aus dem Wahlkreis berichteten mir von afghanischen Asylbewerbern, deren Antrag abgelehnt wurde. Hinter den Entscheidungen der Behörden stehen immer Menschen und Schicksale. Häufig haben sie selbst in den vergangenen Monaten große Bemühungen unternommen, um in Deutschland Fuß zu fassen, eine Arbeit zu finden und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Dies macht es umso schwieriger, die negativen Bescheide zu akzeptieren und auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer ist diese Situation mehr als frustrierend.
Insbesondere Nichtregierungsorganisationen, aber auch die katholische und evangelische Kirche kritisierten Abschiebungen nach Afghanistan als „inhuman und unverantwortlich“, da sich die Sicherheitslage in Afghanistan nach dem Abzug der meisten internationalen Streitkräfte Ende 2014 extrem verschlechtert habe. Auch in Kabul, das von der Bundesregierung als sicher und stabil eingestuft wird, sei ein sicheres Leben wie im restlichen Afghanistan nicht möglich.
Die Bundesregierung vertritt hingegen die Auffassung, dass die Sicherheitslage in Afghanistan von Region zu Region verschieden sei. Nicht in allen Regionen bestehe ein unmittelbares Sicherheitsrisiko, insbesondere für Zivilisten. Gerade in Städten wie Kabul oder der Provinz Kunduz sei ein sicheres Leben möglich. Daher seien Abschiebungen in diese Gebiete legitim und zudem notwendig. Eine entscheidende Rolle bei der Sicherheitsbeurteilung spiele zudem der jeweilige persönliche Hintergrund des Schutzsuchenden. Daher sei in jedem Fall eine Einzelfallüberprüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorzunehmen.
Das deutsche Asylrecht sieht vor, dass eine Asylberechtigung oder der Flüchtlingsstatus nur erteilt werden kann, wenn im Heimatland keine Fluchtalternativen oder anderweitiger Schutz vorhanden ist. Die Einschätzung der zuständigen Ministerien, dass es in Afghanistan sichere Regionen gebe, ist daher ausreichend, um den Schutzsuchenden eine Anerkennung auf Asyl oder den Flüchtlingsschutz zu verweigern.
Eine objektive Beurteilung der rechtlichen Situation und der Sicherheitslage in Afghanistan fällt mir aufgrund dieser gegensätzlichen Einschätzungen mehr als schwer. Aus diesem Grund habe ich in den vergangenen Wochen die unabhängige Sicherheitsberatungsfirma Control Risks und den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages um eine Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan gebeten. Auf Basis dieser Expertenmeinungen und meiner eigenen Recherchen ergibt sich für mich folgendes Bild der Sicherheitslage in Afghanistan:
Richtig ist, dass das Sicherheitsrisiko in einer Vielzahl von Provinzen in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Dies trifft insbesondere auf ländlichen Regionen und auf Provinzen zu, die an Pakistan grenzen. Dort herrschen viele Konflikten, die ein sicheres Leben für die Zivilbevölkerung unmöglich machen. Abschiebungen in diese Regionen halte ich daher für unverantwortlich. Jedoch gibt es, insbesondere im Norden und Nordosten des Landes, Regionen in denen die Sicherheitslage als stabil zu bezeichnen ist. Hierzu zählt, nach Einschätzung der Experten von Control Risks, beispielsweise die Region um Kabul. Gerade für Zivilisten ist hier ein weitestgehend sicheres Leben notwendig. Für nationale und internationale Sicherheitskräfte, Politiker und Mitarbeiter ausländischer Vertretungen und Organisationen besteht jedoch ein sehr hohes Sicherheitsrisiko. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist stark von der jeweiligen Provinz und oftmals auch vom persönlichen Hintergrund des Betroffenen abhängig. Eine Einzelfallüberprüfung ist daher unbedingt notwendig.
Bei der Beurteilung der Sicherheitslage in Afghanistan ist auch der Blick über unsere Grenzen hilfreich. Eine gemeinsame Einschätzung gibt es in diesem Bereich zwischen den Mitgliedsländern der EU nämlich nicht. In Großbritannien hat beispielsweise der oberste Gerichtshof entschieden, dass das Gewaltniveau in Afghanistan nicht ausreichend hoch sei, um eine Abschiebung in das Land als unzumutbar zu deklarieren. Für Zivilisten bestehe zudem keine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben. Auch Österreich bewertet die Sicherheitslage in Afghanistan derart, dass in einigen Provinzen keine direkte Bedrohung für Leib und Leben der Rückkehrer besteht. Ebenso bewertet Schweden die Situation.
Um den Rückkehrern eine schnelle Reintegration in ihr Heimatland zu ermöglichen und unserer Verantwortung für diese Menschen nachzukommen, unterstützt Deutschland den zivilen Wiederaufbau Afghanistans mit jährlich bis zu 430 Millionen Euro. Zudem unterstützen wir mit Programmen wie „REAG/GARP“ und „Starthilfe Plus“ die Reintegration afghanischer Rückkehrer, sei es durch finanzielle Starthilfen, Beratungsangebote oder die Vermittlung von Unterkünften für die Anfangszeit.
Hintergrund:
Control Risks wurde 1975 in London gegründet und unterhält 18 Büros in 14 Ländern (darunter auch Afghanistan). Control Risks ist eines der führenden Unternehmen für Risikoberatung, Krisenprävention und –management. Die Mitarbeiter haben zumeist Erfahrungen aus dem diplomatischen, polizeilichen oder militärischen Dienst. 80% der weltweit größten Unternehmen nutzen die Dienste von Control Risks. In Deutschland zählt rund die Hälfte der Dax-30-Unternehmen zu den Kunden von Control Risks.
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