Das fehlende deutsche Tempolimit - für die Einen der heilige Gral der deutschen Autofahrer, für die Anderen ein anachronistisches, klimafeindliches Sicherheitsrisiko. Welche Seite hat Recht?
Fest steht: In den meisten Ländern der Welt gibt es Tempolimits. In den meisten Ländern der Welt sind die Fernstraßen allerdings auch nicht so gut ausgebaut wie in Deutschland. Und bei den Staaten, in denen die Autobahnen in vergleichbarer Qualität ausgebaut sind – unsere Nachbarstaaten Österreich, die Niederlande oder die Schweiz sind zu nennen - handelt es sich in der Regel um kleine Länder mit verdichteten Bevölkerungsräumen und geringeren Abständen zwischen den Autobahnausfahrten.
Der Einführung eines Tempolimits werden verschiedene Wirkungen zugeschrieben, zuletzt eine spürbare Einsparung von Schadstoffen im Kampf gegen den Klimawandel. Doch wie groß ist der Effekt wirklich?
Deutschland emittiert jährlich rund 800 Mio. Tonnen CO2. Erlassen wir nun ein Tempolimit von 130 km/h, spart Deutschland nach groben Schätzungen 0,2 Prozent seines CO-Ausstoßes. Setzen wir das Tempolimit auf 120 hinab, liegt die Einsparung bei 0,3 Prozent. Der Effekt auf das Klima verbleibt gelinde gesagt unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.
Die Tatsache, dass die Verbrenner durch Fortschritte bei der Motoreneffizienz mit jeder Modellgeneration sauberer werden, sorgt zudem dafür, dass dieser Wert eher sinken als steigen wird. Gleichzeitig sind E-Fuels und andere treibhausgasneutrale Kraftstoffe auf dem Vormarsch. Den Klimaschutz werden wir mit einem generellen Tempolimit nicht vorantreiben.
Als weiterer positiver Nebeneffekt wird die Verflüssigung des Verkehrs aufgeführt, da ein Tempolimit die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den verschiedenen Fahrspuren reduzieren würde. Dieses Argument verkennt jedoch die Realität, dass die Hauptursachen für Staus auf deutschen Autobahnen in erster Linie das hohe Verkehrsaufkommen sowie Spurverengungen durch Baustellen und Unfälle sind. Da wir zudem massiv in unsere Infrastruktur investieren, haben wir im laufenden Jahr mehr als 600 Baustellabschnitte auf Bundesfernstraßen, auf denen ohnehin temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten.
Das Argument, das ursprünglich für das Tempolimit angeführt wurde, ist die Verkehrssicherheit. Es liegen vereinzelte Untersuchungen vor, die zeigen, dass die Anzahl von Straßenunfällen auf verschiedenen Streckenabschnitten gesunken ist, sobald ein Tempolimit eingeführt wurde. Doch bei genauerem Hinschauen entpuppen sich auch diese Ergebnisse als Scheinargument.
Dort, wo es der Streckenverlauf oder die Unfallhäufigkeit erforderlich machen, werden abschnittsspezifische Tempolimits angeordnet. In der Folge weisen bereits 30 Prozent unserer Autobahnkilometer ein fixes Tempolimit auf. Wenn man nun die Unfallzahlen an nachgewiesenen Unfallschwerpunkten vor und nach Erlass eines Tempolimits vergleicht, wird man zwangsläufig auf sinkende Zahlen stoßen. Aus dieser Sachlage lässt sich jedoch nicht die Schlussfolgerung ableiten, dass Tempolimits auf allen deutschen Autobahnen – ob Unfallschwerpunkt oder nicht – die Verkehrssicherheit erhöhen werden.
Zudem stammen die in der öffentlichen Debatte genannten Studien teilweise aus dem Jahr 2007, teilweise aus den 80er Jahren. Für Zahlen, die vor vielen Jahren oder Jahrzehnten erhoben wurde, im Jahr 2019 Gültigkeit zu beanspruchen, halte ich für problematisch, da Veränderungen der demografischen Zusammensetzung der Autofahrer und der Sicherheitstechnik der Fahrzeuge gänzlich unberücksichtigt bleiben. Außerdem wurde in den vergangenen Jahren auf vielen Streckenabschnitten mit Unfallhäufung neu ein Tempolimit eingeführt.
Tatsächlich liegt bis zum heutigen Tag keine einzige Studie vor, die klar aufzeigt, dass ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen auch auf nicht besonders unfallgefährdeten Abschnitten die Verkehrssicherheit erhöht.
Die wahren Gefahren liegen woanders. Die eigentliche Schwachstelle der Verkehrssicherheit sind die Landstraßen, auf denen sich 57 Prozent aller tödlichen Unfälle ereignen. Gleichzeitig ereignen sich 13 Prozent der Todesfälle auf Autobahnen und 30 Prozent auf innerörtlichen Straßen. Bezogen auf 1.000 Streckenkilometer ereignen sich auf Autobahnen 13, auf innerörtlichen Straßen 50 und auf Landstraßen 166 Unfälle.
Während den Autobahnen in der öffentlichen Wahrnehmung das größte Risikopotenzial zugeschrieben wird, sind sie die mit Abstand sichersten Straßen in Deutschland und zählen zu den sichersten weltweit.
Die Aufgabe der Verkehrspolitik muss es sein, Maßnahmen gegen die wesentlichen Unfallursachen zu ergreifen. Hierzu zählen in erster Linie die Ablenkung durch Smartphones am Steuer, die von den Polizeibehörden noch konsequenter verfolgt werden muss, das Fahren unter Alkoholeinfluss und schwere Unfälle unter Beteiligung von Lkw. Alleine die Zahl der Verkehrstoten durch Auffahrunfälle mit Lkw wird auf deutlich über 300 geschätzt.
Zwar ist der Einbau von Notbremsassistenten in der EU seit 2015 Pflicht. Diese müssen bei einem stehenden Fahrzeug aber bloß eine Teilbremsung von zehn Stundenkilometern leisten und gelten – auch aus Rücksicht auf Speditionsunternehmen aus Osteuropa – lediglich für Neufahrzeuge. Das Ziel der Bundesregierung ist auch hier, schnellstmöglich eine flächendeckende Ausstattung der Lkw mit Notbremsassistenten durchzusetzen.
Am Ende der Debatte bleibt folgende Erkenntnis: Dass der Straßenverkehr langfristig reduziert, gebündelt und intelligent verteilt werden muss, ist unbestritten. Doch für dieses Ziel sind starre Tempolimits das völlig falsche Instrument.
Neue Bedienformen, Antriebsarten und Mobilitätsbedürfnisse sorgen dafür, dass es für die komplexen Mobilitätsfragen unserer Zeit keine einfachen Antworten gibt. So wie unsere Wirtschaft und Gesellschaft wird auch unser Verkehr komplexer und vielschichtiger. Unsere Verkehrsplanung muss es daher auch werden.
Wir brauchen flexible Tempolimits in Abhängigkeit vom jeweiligen Verkehrsaufkommen und den Witterungsbedingungen, eine intelligente Verkehrslenkung und günstige Rahmenbedingungen für die Antriebsformen und Verkehrsangebote der Zukunft.
Was wir nicht brauchen, ist ein starres Tempolimit, das von der Berliner Stadtautobahn bis zur Autobahn im Bayrischen Wald alle Straßen über einen Kamm schert. Denn das System der Richtgeschwindigkeit funktioniert und hat sich bewährt. Und überall dort, wo die Streckenführung es erfordert, wird es selbstverständlich auch ein Tempolimit geben.
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