Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich - wie alle, die hier um die richtige Antwort auf die Frage, die sich uns stellt, ringen - dem Ausgangspunkt und dem Kern des Problems zuwenden. Das ist der Todeswunsch des Einzelnen, den er in einer Situation angesichts von Leid, von Schmerzen, von Kontrollverlust, von der Angst vor dem Verlust der Selbstständigkeit formuliert, der ein existenzieller ist, auf den wir eine Antwort finden wollen.
Wenn wir uns diesen Todeswunsch anschauen, dann stellen wir fest, dass er zunächst ein Schrei nach Hilfe ist. Er besagt: Ich will in der Situation, in der ich mich befinde, nicht sterben. Ich möchte nicht so sterben, wie mir das im Moment droht. - Deshalb können wir vielen, die diese Frage stellen und die sich in dieser Notsituation befinden, mit der Palliativmedizin und mit dem Ausbau der Hospize eine Antwort geben. Ich will nicht verschweigen, dass es dann immer noch Menschen geben wird, die bei ihrem Tötungswunsch bleiben, die keine andere Lösung sehen und für die wir, vielleicht auch die Medizin, keine letztlich befriedigende Antwort anbieten können.
Ich will ausdrücklich sagen: Es ehrt alle, die dafür eine Lösung finden wollen, egal wie sie aussieht. Das nimmt jeder für sich in Anspruch. Ich glaube aber, dass man sich in dem Moment nicht nur auf den Einzelfall fokussieren darf, sondern sich auf die Fragen zubewegen muss: Was bedeutet die Antwort, die ich darauf gebe, für all die anderen in einer Gesellschaft? Welche Wirkung hat das auf eine Gesellschaft? Sind solche Extremsituationen und Fälle, wie sie zum Beispiel Peter Hintze geschildert hat, geeignet, Grundlage einer allgemeinen gesetzlichen Regelung zu werden?
Ich möchte Udo Di Fabio zitieren, der sehr treffend gesagt hat:
Eine Gesellschaft, die ihre Hand zur Selbsttötung reicht, verändert den Umgang mit dem menschlichen Leben.
Das beschreibt neben der Wirkung auf den Einzelnen, der in seiner Not schreit, das, was wir anderen Menschen damit antun, welchen Rahmen wir bieten und in welcher Gesellschaft und in welchem Staat wir leben. Deshalb glaube ich, dass wir neben dem Recht auf Selbstbestimmung und der Freiheit des Individuums fragen müssen: Was prägt eine Gesellschaft? Gerade auf diese grundsätzliche Frage müssen wir eine Antwort geben.
Es besteht Regelungsbedarf in einem begrenzten Fall, nämlich in dem Fall der hier beschriebenen organisierten und/oder geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Wir drohen hier in eine Situation zu geraten, in der das Drama, das jeder Suizid darstellt, zu einer normalen, gesellschaftlich akzeptierten Option wird. Daraus kann ein Klima entstehen, das ältere, kranke und schwache Menschen unter Druck setzen könnte, anderen nicht zur Last zu fallen, sondern diese akzeptierte, vielleicht normale Option zu wählen.
Aus der Menschenwürde folgt nicht nur, die Selbstbestimmung zu maximieren, sondern auch den anderen zu zeigen: Wir haben eine Pflicht zum Schutz des Lebens und dafür, für das Leben einzutreten. Das kann auch angesichts der betroffenen Rechtsgüter wegen der Signalwirkung, die wir damit in die Gesellschaft geben, nur mit dem Strafrecht geschehen. Es geht nicht in erster Linie um Kriminalisierung, sondern es geht um die Frage der Bedeutung des Rechtsgutes, um das wir hier kämpfen.
Wenn wir über Selbstbestimmung reden, dann möchte ich klar betonen: Nein, es gibt keine Pflicht zum Leben. Diese kann jeder für sich selbst empfinden, aber ein Staat kann sie nicht statuieren. Aber daraus zu folgern, dass dann, wenn der Staat nicht die Hand zum Töten reicht, eine Pflicht zum qualvollen Sterben bestehe, halte ich für unzulässig. Diesen Schluss darf man nicht ziehen.
Bei der Frage nach der Selbstbestimmung müssen wir auch die Fragen stellen, die sich daran anschließen: Ist ein Leben in Abhängigkeit ohne Würde, oder hat es weniger Würde? Hat ein Leben, das nur noch mit der intensiven Begleitung durch andere geführt werden kann, einen geringeren Wert? Kann Krankheit, kann Leid einem Menschen die Würde nehmen? Ist dann der Schritt nicht klein, zu sagen, dass nur noch die autonome, aktive Entscheidung, aus dem Leben zu treten, in einer solchen Situation würdevoll ist? Ist es wirklich selbstbestimmt, den Tod in die Hände von Fachleuten zu legen, die jemandem nach bestimmten Voraussetzungen zum Tod verhelfen können? Ich glaube, dass man aus einer Unsicherheit heraus nur neue Unsicherheit, aber keine abschließende Regelung schafft.
Nein, meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sollten in etwas vertrauen, das in unserem Land Realität ist: Es gibt Zuwendung, Solidarität, Beistand und Einfühlungsvermögen. Es gibt Gewissensentscheidungen, auch von Ärzten. Da, wo wir das ausbauen können und müssen, sollten wir das tun.
Kollege Hintze hat recht, wenn er sagt: Wir alle haben die Vision von einem Leben ohne Leid und ohne Schmerz. Die Realität sieht anders aus, und sie wird immer anders aussehen. Wir alle können nicht leidloses Leben und leidloses Sterben versprechen. Wir müssen versprechen, da zu sein, wenn Hilfe gebraucht wird. Alles andere, die Hand zum Töten zu reichen, wäre, glaube ich, die Kapitulation vor dem Leid, und es wäre das Signal einer Gesellschaft, die nicht die Zuwendung im Sterben praktiziert. Wir brauchen eine Zuwendung im Sterben und damit eine Zuwendung zum Leben.
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