Organspende ist ein freiwilliger Akt der Nächstenliebe

16.01.2020

Patrick Schnieder spricht sich in der aktuellen Debatte zur Organspende für die Entscheidungslösung aus.

Mehr als 9.500 Menschen stehen auf der Warteliste für eine lebensrettende Organtransplantation. Demgegenüber gab es 2018 in Deutschland 955 postmortale Organspender. Diese Statistik zeigt, wie wichtig es ist, dass wir die heutige Debatte führen und mit ihr den politischen Willen erklären, die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Denn klar ist: Es muss sich was tun. Darin besteht zwischen den Unterstützern der vorliegenden Gesetzesentwürfe Einigkeit. 

Durch die doppelte Widerspruchslösung würde jeder zum potentiellen Organspender werden, der zu Lebzeiten nicht seinen Widerspruch äußert. Ihre Unterstützer erhoffen sich von der Einführung eine wesentlich höhere Zahl an Organtransplantationen.

In meinen Augen liegt der Schlüssel jedoch in der Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende.

Dieser Gesetzesentwurf sieht vor, die Organspendebereitschaft durch Aufklärungsangebote sowie durch regelmäßige Ansprachen durch die Hausärzte zu stärken. Darüber hinaus soll ein Online-Register eingerichtet werden, durch welches es wesentlich einfacher wird, die Spendebereitschaft zu erklären oder zu widerrufen. Im Unterschied zur Widerspruchslösung bleibt die Möglichkeit des Nichtentscheidens bestehen. Aus ethischen und moralischen Gründen halte ich dies für geboten. Denn bei der Organspende handelt es sich um eine freiwillige Leistung und in erster Linie um einen großen Akt der Nächstenliebe. Dieser sollte weder staatlich verordnet werden noch sollte ein Zwang entstehen, sich entscheiden zu müssen. Dabei leitet mich das christliche Bild des aufgeklärten Menschen, der im Bewusstsein seiner Verantwortung für seine Mitmenschen und in Freiheit über seinen Körper entscheidet. In diese Freiheit sollte nur eingegriffen werden, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind. Die Unterstützer der doppelten Widerspruchslösung sehen dies gegeben. Es gibt jedoch gewichtige Gründe, die gegen diese Annahme sprechen.

So belegt die Studienlage, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen der Einführung einer Widerspruchslösung und der Zahl der Organspender gibt. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages zeigt am Beispiel von Schweden auf, dass die dortige Einführung der Widerspruchslösung zu keinen höheren Organspenderzahlen geführt hat. In Spanien, dem Land mit den höchsten Organspenderzahlen pro Einwohnerzahl in Europa, wird die hohe Zahl der Organspenden auf die guten Klinikstrukturen und den Umstand, dass bereits nach einem Herzstillstand Organe entnommen werden dürfen, zurückgeführt. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein stützen diese Aussage und kommen zu dem Ergebnis, dass sich eine Zunahme der Organspenden in Deutschland auch durch eine Änderung der organisatorischen Abläufe in den Kliniken erreichen ließe. Bei Beseitigung aller strukturellen Defizite gehen die Forscher von einer Verdreifachung der aktuellen Organspenderzahlen aus. Das Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende, welches der Deutsche Bundestag im vergangen Jahr beschlossen hat, zielt genau darauf ab und ist ein wichtiger Baustein zur nachhaltige Erhöhung der Organspenderzahlen in Deutschland. Ob die darin beschlossenen Maßnahmen wirken, wird sich jedoch erst im Laufe dieses Jahres zeigen.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Erhöhung der Organspenderzahlen liegt in der Aufklärung und Information über Organtransplantationen. Ziel muss es sein, dass sich Jeder in Deutschland einmal mit dem Thema Organspende beschäftigt. Die im Gesetzesentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft vorgesehene regelmäßige und ergebnisoffene Beratung durch die Hausärzte halte ich dabei für besonders zielführend. In Umfragen geben häufig mehr als 80 Prozent der Befragten an, einer Organspende positiv gegenüberzustehen. Es ist daher davon auszugehen, dass bei entsprechender Ansprache mehr Menschen ihre Organspendebereitschaft äußern. Aus dieser mehrheitlich positiven Haltung sollte jedoch keine grundsätzliche Spendebereitschaft abgeleitet werden. Es muss auch weiterhin gesellschaftlich anerkannt bleiben, sich gegen eine mögliche Organspende zu entscheiden oder eben keine Entscheidung zu treffen.